EINHUNDERTVIER

Regie: Jonathan Schörnig / 93 min. / 2024 / Englisch, Deutsch (UT: Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch, Portugiesisch, Russisch) / Deutschland

Als die libysche Küstenwache sich dem deutschen Seenotrettungsboot Eleonore nähert, bricht Hektik unter den 104 Flüchtlingen aus und der routinierte Rettungsvorgang muss beschleunigt werden.

Regie: Jonathan Schörnig
Buch: Adrian Then, Jonathan Schörnig
Produktion: Uwe Nitschke, Adrian Then
Kamera: Jonathan Schörnig, Johannes Filous
Schnitt: Jonathan Schörnig

Wie eine Seenotrettung ablaufen kann, übersteigt jegliche Vorstellungskraft. Die Echtzeitdokumentation „Einhundertvier“ bringt diese dramatische Situation näher. Der Film zeigt wie quälend lange es dauert, 104 Personen von einem sinkenden Schlauchboot zu bergen. Mensch für Mensch, Schritt für Schritt wird die Aktion mit mehreren parallelen Kameras begleitet. Mit dem Auftauchen der Libyschen Küstenwache spitzt sich die Lage zu. Tagelang harren die Geretteten und die Crew auf hoher See aus, da kein Mittelmeerland ihnen erlaubt anzulegen. Erst nach einem schlimmen Sturm erreicht das Schiff einen europäischen Hafen.

CAST
Crew des Rettungsschiffs ELEONORE: Claus-Peter Reisch (Kapitän), Martin Ernst (1. Offizier ( RHIB Fahrer), Thorsten Smikalla (2. Offizier), Gerald Karl (3. Offizier / Deckmanager), Clara Richter (Cultural Mediator / Köchin), Georg Albiez (Schiffsarzt), Kostis Plevris (RHIB-Kommunikation)

CREW
Regie: Jonathan Schörnig
Buch: Adrian Then, Jonathan Schörnig
Kamera: Jonathan Schörnig, Johannes Filous
Schnitt: Jonathan Schörnig
Produktion: Uwe Nitschke, Adrian Then

Kinoverleih und Weltvertrieb: UCM.ONE GmbH
Webseite: www.ucm.one/de/einhundertvier

JONATHAN SCHÖRNIG – Regisseur und Autor
Jonathan Schörnig wurde 1991 in Leipzig geboren.
Nach seinem Abitur 2011 begann er durch mehrere Assistenzen und Praktika im Fernseh- und Filmbereich Regieerfahrungen zu sammeln.
2015 schloss er seine Ausbildung zum Mediengestalter Bild/Ton mit seinem Abschlussfilm „Herr Lindner und sein Garten“ erfolgreich ab und gewann den Azubipreis FineX.
Anschließend arbeitet er als Kameramann an diversen Fernsehformaten und Dokumentationen mit. Im Jahr 2020 konnte er mit dem Kurzdokumentarfilm „Never give up“ seine erste erfolgreiche Festivalauswertung erzielen.
Seit 2021 studiert Jonathan Schörnig an der Bauhaus-Universität in Weimar.

Mit EINHUNDERTVIER gewann Jonathan Schörnig die goldene Taube beim 66. Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm sowie den Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts, den ver.di-Preis für Solidarität, Menschlichkeit und Fairness und den Filmpreis Leipziger Ring.

Wie ist es zu dem Film gekommen?
Ich war 2019 auf dieser Rettungsmission als Journalist mit unterwegs. Aus dem Material, was ich gedreht habe, sind auch mehrere Beiträge für den MDR entstanden und ich habe danach gemerkt, dass ich zum einen mit dem Thema noch nicht ganz abgeschlossen habe und das Rohmaterial viel mehr bietet. Immer wenn ich mir Ausschnitte vom Rohmaterial anschaute, habe ich gemerkt, dass ich selbst sehr lange dranbleibe und dass ich diese Rettungsaktion an sich einfach auch spannend empfand.
Wenn so eine Rettung gezeigt wird, ist diese immer stark durch den Schnitt komprimiert. Ich dachte mir, das ist die beste Form das Ganze mal zu zeigen, ungeschnitten. Sodass der Zuschauer das miterleben und nachvollziehen kann. Wir konnten erst durch die Montage im Kachelmodus das Material richtig sichten und haben im Schnitt festgestellt, wie die Spannung sich durch den Film trägt.
Ich bin der Meinung, dass Menschen, die den Film gesehen haben, auch ein bisschen das Gefühl dafür bekommen, wie es ist, bei so einer Rettungsaktion dabei zu sein.

Warum hast du sechs Kameras aufgebaut und installiert?
Ich wusste, dass ich während der Rettung nicht viele Möglichkeiten habe, alle Situationen angemessen zu dokumentieren. Daher hatte ich gemeinsam mit Johanns Filous überlegt, wo wir überall Kameras anbringen können, um möglichst nichts zu verpassen. Für mich war es wichtig, auch das Geschehen auf der Brücke zu dokumentieren. Johannes war im Schnellboot dabei und ich bin an Bord geblieben. Zusammen mit den anderen Kameras hatten wir einen sehr guten Überblick.

Wie erging es dir an Bord?
Man ist die ganze Zeit Teil des Prozesses und es ist schwierig neutraler Beobachter zu sein. Für Johannes und mich als Journalisten an Bord war es nicht einfach, sich auf die Dokumentation zu konzentrieren.
Wir sind zwar Teil des Ganzen und wir essen und schlafen auf demselben Schiff, aber trotzdem haben wir auch eine Neutralitätspflicht.
Weil wir wenig Crewmitglieder waren und nur neun anstatt zwölf, mussten wir wie alle anderen auch uns dem Schiffsalltag unterordnen.
Die Frage, die mich kurz vor der Abfahrt Richtung SAR-Zone beschäftigt hat, war: Was passiert, wenn vor mir jemand ertrinkt? Filme ich oder greife ich ein und versuche zu retten? Ich habe vorher keine klare Entscheidung getroffen, aber ich hatte im Gefühl, dass wenn so ein Fall eintritt, ich in die Situation eingreifen und meine Beobachterposition verlassen werde.

Wie war die Stimmung unter der Crew?
Nicht immer harmonisch. Ich glaube, das Hauptproblem ist, dass die Hierarchie auf hoher See sich nicht immer mit den Vorstellungen einer zivilgesellschaftlich organisierten NGO (Nichtregierungsorganisation) decken lässt.
Wir hatten nicht viel Zeit, um uns als Crew zu finden und die Abläufe auf See zu routinieren, gerade weil ein Großteil der Crew zum ersten Mal auf hoher See war. Aber in den entscheidenden Momenten haben alle am selben Strang gezogen.

Welche Erinnerung hast du an die Geretteten?
Es gab ein paar, die sich mir eingeprägt haben. Zum Beispiel Fahad, der zu einer Art Sprecher der Gruppe wurde und uns gegenüber immer Lösungsansätze präsentiert hat, wenn es Probleme gab. Generell hatten wir großes Glück mit den Geretteten. Obwohl sie aus verschiedenen Ländern kamen und sich selbst auch nicht kannten, waren alle sehr diszipliniert und geduldig.
Wir hatten einen Tag, an dem wir gemeinsam verschiedene Brettspiele, die wir an Bord hatten, spielen wollten. Nach ein paar Minuten bemerkte ich, dass in einer Gruppe Unruhe herrschte und Spielkarten über Bord geworfen wurden. Nachdem Gerald Karl (Decksmanager) die Lage beruhigt hatte, haben wir Fahad die Verantwortung übergeben und sind als Crew vom Deck gegangen. Nach 5-minütiger Diskussion untereinander kam Fahad mit allen Spielen zu uns und meinte, weil es nicht geklappt hat, haben sie sich entschieden, dass sie nicht mehr spielen wollen, und übergab Gerald die säuberlich zusammen gepackten Spiele.

Wie war die Stimmung nach der Rettung?
Direkt nach der Rettung waren alle sehr euphorisch. Das Adrenalin ließ allerdings erst nach, als uns die Libysche Küstenwache nicht mehr verfolgte. Zuerst wurden alle mit Wasser versorgt und Georg Albiez (Schiffarzt) kümmerte sich um die sehr schwachen Fälle. Am nächsten Tag gab es dann eine „Sprechstunde“, bei der alle Geretteten beim Arzt vorbeikamen und Verletzungen dokumentiert und Wunden behandelt wurden.
Leider konnten wir das Rettungsboot, welches wir eigentlich gesucht hatten, nicht finden.

CHRONOLOGIE DER VORGESCHICHTE
2019
Das Schiff wird vom Verein MISSION LIFELINE International e.V. gekauft. Die„Eleonore“ hieß zu dem Zeitpunkt „Western Star“ und muss aufwändig für die Rettung vorbereitet und umgebaut werden. Sie war ursprünglich ein holländischer Fischkutter.

Juli 2019
Jonathan Schörnig erklärt sich bereit, die Rettung zu dokumentieren, um Filmmaterial für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu erstellen.

02.08.2019
Anreise von Jonathan Schörnig und Johannes Filous nach Spanien als Pressevertreter.
Die Umbauarbeiten in der Werft bei Barcelona verzögern sich. In Deutschland wird zeitgleich die „Eleonore” unter deutscher Flagge von Kapitän Claus-Peter Reisch registriert.

07.08.2019
Die „Eleonore“ wird zu Wasser gelassen.

09.08.2019
Kapitän Claus-Peter Reisch fliegt mit den Registrierungsdokumenten nach Spanien. Die Bauarbeiten an der Eleonore verzögern sich weiter.

16.08.2019
Das Schiff wird auf den Namen „Eleonore“ getauft.

17.08.2019
Die “Eleonore” startet mit 9-köpfiger Crew zur Überfahrt und Testfahrt nach Cagliari/Italien.

20.08.2019
Ankunft im Hafen von Cagliari. Letzte Reparaturen werden durchgeführt.

21.08.2019
Abfahrt Richtung SAR- Zone (Search and Rescue) um 21.20 Uhr. Die 9-köpfige Eleonore-Crew startet, dazu zählen die beiden Pressevertreter.

24.08.2019
Erreichen der SAR-Zone, Beginn der Suche, Rettungsübung

25.08.2019
Clara Richter entdeckt um 9.30 Uhr ein leeres grünes Schlauchboot mit nur einer intakten Luftkammer. Es konnte keine Markierung einer Rettung festgestellt werden, daher geht die Crew von keinen Überlebenden aus.

25.08.2019
Notruf via NGO „Alarmphone“ eines Schlauchbootes. Die „Eleonore“ leitet die Suche umgehend ein und nimmt Kurs auf die angegebene Position. Die Suche in der Nacht bleibt erfolglos.

26.08.2019
Ein weiterer Notruf eines weißen Schlauchbootes wird von „Alarmphone“ gemeldet. Es soll sich um ein Boot mit 64 Personen, darunter 53 Männer und 11 Frauen handeln. In einem weiteren Boot wurden Kinder gemeldet. Daher stellt sich die Schnellbootbesatzung der „Lifeline 3“ auf die Rettung von Kindern ein.

12:59 Uhr
Die Live-Dokumentation mit sechs Kameras beginnt. Auf dem Weg zur angegebenen Position stößt die Besatzung auf das blaue Schlauchboot mit 104 Männern.

FESTIVAL & AWARDS
Goldene Taube Langfilm
Es dauert unendlich lang, um 104 Menschen aus einem im Mittelmeer versinkenden Boot zu retten. Wir erleben diese Bergung in Echtzeit, gleichzeitig auf sechs Splitscreens. Das Filmteam und die Besatzung des Rettungsschiffes führen uns klar vor Augen, was das tägliche Wegschauen bedeutet. Sie zeigen aber auch, dass Hilfe möglich und nötig ist.

Dokumentarfilmpreis des Goethe-lnstituts
In ,,Einhundertvier“ wird eine Seenotrettung von flüchtenden Menschen im Mittelmeer minutiös dokumentiert. Mit seinem konsequenten Ansatz, 90 Minuten mit mehreren Kameras parallel zu filmen, lasst der Regisseur Jonathan Schörnig uns die Aktion hautnah miterleben und schafft dadurch ein tiefes Verständnis für die Dringlichkeit des humanitären Einsatzes.
Ein Appell an die Weltpolitik, aber auch an uns!

ver.di-Preis für Solidarität, Menschlichkeit und Fairness
Wir erleben eine besondere Rettungsaktion – vermittelt mit klassischen dokumentarischen Mitteln, wie sie die heutige Technik erlaubt. So sind wir in Echtzeit sehr nah bei den Menschen in dieser Szenerie und werden der natürlichen Dramaturgie ausgeliefert.
Wie wir wissen, ist dies nur der erste Akt eines menschlichen Dramas mit ungewissem Ausgang. Der Film macht es möglich, zu begreifen, welche Dimensionen diese alltägliche Tragödie im Mittelmeer hat.

Filmpreis Leipziger Ring
Für einen hervorragenden Dokumentarfilm über Menschenrechte, Demokratie oder bürgerschaftliches Engagement, gestiftet von der Stiftung Friedliche Revolution Leipzig.

It’s All True – Internationales Dokumentarfilmfestival São Paolo
Bester Dokumentarfilm / International
Der Preis geht an Einhundertvier, einen Film, der eines der wichtigsten Themen unserer Zeit – Migration – auf fesselnde, rohe und adrenalingeladene Art und Weise beleuchtet. Während er sich in Echtzeit entfaltet, wird uns klar, dass dieser Film überall zu sehen sein sollte.