Le Beau Danger

Regie: René Frölke / 100 min. / 2014 / Englisch, Rumänisch, Französisch, Italienisch (UT: Deutsch) / Deutschland, Italien

„Norman Manea, 1936 in der Bukowina geboren, wurde 1941 mit seiner Familie deportiert.
Er überlebte das Lager und war ab 1974 freier Schriftsteller in Bukarest.
Seit 1986 lebt er in New York.“

Regie, Buch, Produktion, Schnitt, Kamera: René Frölke

Dieser Film wurde im Sommer 2020 in Kooperation mit docfilm42 während des LCB-Festivals gezeigt und befindet sich jetzt im Archiv.

»Le Beau Danger« ist eine filmische Bearbeitung zwischen dokumentarischem Portrait und literarischem Text. Ausgangspunkt ist das Werk des Schriftstellers Norman Manea, das – neben dem Autor und der Person Norman Manea – einen der drei Erzählstränge bildet. Körnige Schwarzweiß-Aufnahmen, Szenen aus dem Leben des Autors, werden unterbrochen von Sätzen auf der weißen Leinwand. Für eine Weile sind wir alleine mit dem Text. Die Frage: „Wo fängt die Fiktion an und wo endet die Erinnerung im Werk eines Schriftstellers?“ ist letztlich nicht zu beantworten. Dennoch bilden die starken autobiografischen Bezüge, die das gesamte Werk Norman Maneas durchziehen, die Grundlage dieser Zusammenstellung.

CAST
Norman Manea, Cella Manea, Eduardo Paz Leston

CREW
Regie: René Frölke
Buch: René Frölke
Kamera: René Frölke
Schnitt: René Frölke
Sounddesign: René Frölke
Produktion: Joon Film, Berlin
Produzenten: Ann Carolin Renninger, Paolo Benzi, René Frölke (Joon Film)

René Frölke wurde 1978 in der DDR geboren. Seit mehreren Jahren ist er freiberuflich als Cutter, Kameramann und Regisseur tätig. 2007 nahm er ein Kunststudium in Karlsruhe auf, was er 2012 abbrach. 2010 realisierte er seinen ersten eigenen abendfüllenden Dokumentarfilm Von der Vermählung des Salamanders mit der grünen Schlange.

Filme
2007: Jour de grève (14 Min.). 2008: Ropinsalmi (12 Min.). 2010: Führung (37 Min., Forum Expanded 2011). 2010: Von der Vermählung des Salamanders mit der grünen Schlange (94 Min.). 2012: Jeremy Y. call Bobby O. oder Morgenthau Without Tears (84 Min.). 2014: Le beau danger.

Der Schriftsteller und sein Zeremoniell

„Norman Manea, 1936 in der Bukowina geboren, wurde 1941 mit seiner Familie deportiert. Er überlebte das Lager und war ab 1974
freier Schriftsteller in Bukarest. Seit 1986 lebt er in New York.“

Diese Kurzbiografie, dem Klappentext der deutschen Ausgabe eines Ro-mans entnommen, war einer der Ausgangspunkte für diesem Film. Die Knappheit dieser Zeilen, der formale Widerspruch zum tatsächlich Gesagten, faszinierte mich, und damit auch die Frage nach der Erzählbarkeit einer Biografie, vor dem Hintergrund eines Werkes, das selbst stark autobiografische Züge trägt. Ein Phänomen, das mir auch während der Dreh-arbeiten immer wieder als Realszene begegnete – die öffentliche Person und die Repräsentation des Schriftstellers.

Das Erzählen dieser Biografie in mündlicher Form, gerade im Interview, blieb immer hinter meinen Erwartungen, die durch das Lesen der Roma-ne und Kurzgeschichten entstanden waren, zurück. Alles was es zu sagen gab, schien in den literarischen Geschichten schon gesagt, und vor allem war es dort besser erzählt. Der Druck von Öffentlichkeit und das Mündliche, schien mir, zwangen zu sehr zu Vereinfachung und Verkürzung.

Was mich aber fesselte an diesen Szenen, war die unablässige Wiederholung – das Zeremoniell der Vorstellung vor einem Publikum, die immer gleichen Interviewfragen, die immer ähnlichen Antworten auf die-se Fragen. Die Routine, ohne die man scheinbar nicht überleben kann im Literaturbetrieb.

Le beau danger ist eine filmische Anordnung aus dokumentarischen Auf-nahmen und literarischem Text des rumänischen Schriftstellers Norman Manea, der sich schwarz auf weiß auf 170 Tafeln durch den Film zieht. Die zu lesenden Bilder durchbrechen im Verlauf des Filmes fortwährend das kinematografische Bild und fordern den Zuschauer dazu heraus, einen Text hinter dem Text zu suchen.

Der Film ist letztlich ein Versuch, Text und Bild sich gegenseitig befragen zu lassen. Mir scheint, es ist auch eine Beobachtung, in der die Zerrissenheit unserer Zeit erkennbar wird. Eine Zerrissenheit, in der die Information zum Gegenspieler der Erfahrung und somit auch der Erinnerung wird.

PRESSE
„Die Zuschauer sollten ihre eigene innere Stimme behalten können“

Wie war die Ausgangslage für den Film?
René Frölke: 2011 wurde der 75. Geburtstag von Norman Manea feierlich begangen, dabei wurde auch gefilmt. Daraus hat sich dann die Idee entwickelt, einen ganzen Film über ihn zu machen. In diesem Projekt war ich zunächst nur Kameramann und bin dann quasi aufgerückt. Ich habe daraus ganz schnell etwas völlig anderes, etwas Eigenes gemacht.

Dein Film ist ja kein traditioneller Porträtfilm. Es gibt keinen Dialog im klassischen Sinn, es gibt keine Musik, keinen Kommentar. Die Perspektive ist eher dezentral. Man hat das Gefühl, dass man eher durch die Spiegelung der Orte und Personen im Umkreis von Manea etwas über ihn erfährt als von ihm selbst. Norman Manea bleibt bis zuletzt ein etwas unnahbares Phänomen. Wie hat sich euer Verhältnis während der Dreharbeiten entwickelt?

Es gab von meiner Seite durchaus Versuche einer persönlichen Annäherung. Irgendwann habe ich aber festgestellt, dass ich viel mehr aus Maneas Büchern erfahren konnte als von ihm persönlich. Es ist mir nicht gelungen, diese Wand wirklich zu durchdringen. Der Altersunterschied und seine ungewöhnliche Biografie haben sicher auch eine Rolle gespielt. Ich habe sehr viele Interviews mit ihm von Kollegen miterlebt und dabei auch diese ewigen Muster bemerkt, diese Wiederholungen. Die Fragen ähneln sich alle, zielen immer auf Maneas Biografie. Für mich war das von Anfang an nicht befriedigend. Die Bücher, die ich vor unseren Begegnungen gelesen hatte, waren stärker als all diese Inter-views. Alle seine Texte sind stark autobiografisch.

Gegen Ende des Films gibt es einen Moment, in dem Norman Manea dich direkt anspricht. Das wirkt durchaus vertraut. Gab es vielleicht im Off eine Annäherung zwischen euch, die der Zuschauer nicht zu Gesicht bekommt?

Insgesamt gab es vielleicht zwei oder drei kurze Momente der Annäherung zwischen uns. Mit der Kamera ist mir das aber nicht geglückt; sie schafft ja eine zusätzliche Distanz. Vielleicht hätten wir uns länger kennen müssen, um diese Distanz zu überwinden. Manea hat auch eine gewisse Routine im Umgang mit Kamerateams entwickelt. Es gibt bereits einige Fernsehfilme über ihn. Volker Koepp hat 2004 für Dieses Jahr in Czernowitz auch schon mit ihm gedreht. Einen Film mit jemandem zu machen, der schon sehr viele Interviews gegeben hat, ist schwierig. Manea erwähnt das selbst im Film, er spricht von Routine.

An welchem Punkt hast du dich dazu entschlossen, einen Dokumentarfilm zu drehen, der sich den üblichen Konventionen verweigert?

So habe ich nie gedacht. Vielleicht war ich sogar der Meinung, einen normalen Dokumentarfilm zu machen. Ich bin von der Prämisse ausgegangen, dass man die Zuschauer eines Films über einen Autor in die Lage versetzen muss, dessen Texte wirklich zu lesen. Denn entweder kennen sie seine Texte nicht, oder die Lektüre liegt schon lange zurück. Das war meine Versuchsanordnung: Ich wollte den Leuten einen Text zur Lektüre anbieten. Die Entscheidung, dies in einer so extremen Form zu tun, ist erst am Schneidetisch gefallen. Von Beginn an stand fest, dass ich genau diese Geschichte verwenden wollte. Sie war nicht zu lang und spielte in einer Szenerie, die für jeden nachvollziehbar ist: in einem Wald. Es gibt vier Figuren – das ist eine überschau-bare, durch die Verschiebungen aber zugleich komplexe Konstellation. Dann stellte ich allerdings fest, dass ich diese Geschichte unmöglich kürzen konnte, weil dann nichts von ihr übrig bleiben würde. Deshalb musste ich den ganzen Text verwenden.

Es gibt in deinem Film mehrere Dinge, die nicht stattfinden. Zum Beispiel verzichtest du auf gesprochene literarische Texte. Hat es dich nicht interessiert, auf die Wechselwirkung von Sprache und Bild zu setzen?

Die Stimme eines Sprechers war für mich bereits ein Element zu viel. Wenn man einen Roman gelesen hat und später das Hörbuch hört, ist man davon oft enttäuscht – weil es beim Lesen eine eigene innere Stimme gab, die man dann mit diesem Roman verbindet, aber im Hör-buch nicht wiederfindet. Diese Enttäuschung wollte ich vermeiden; die Zuschauer und Leser sollen ihre eigene innere Stimmen behalten können. Aus dem gleichen Grund wollte ich den Zuschauern auch keine Visualisierung zu den Texten liefern. Das Experiment bestand darin herauszufinden, wie die Texte und die dokumentarischen Aufnahmen miteinander interagieren, ob sich daraus ein Mehrwert ergibt. Ich wollte dem Zuschauer keine fremden Assoziationen aufzwingen.

Du hast alle schwarz-weißen Passagen des Films mit einer 16-Millimeter-Bo-lex-Kamera gedreht. Wie kam es zu diesem antizyklischen Entschluss?

Das ist ein ganz besonderes Verfahren des Filmemachens. Man muss sehr intuitiv arbeiten, muss viel improvisieren, zum Beispiel bei der Frage, wann man den Film wechselt oder ob man die letzten Sekunden der Rolle noch belichtet. Diese Arbeitsweise erzeugt eine gewisse Spannung. Man produziert Material, das von sich aus fragmentarisch ausfällt; entsprechend muss man das Fragmentarische nicht im Nachhinein künstlich herstellen.

Interview: Claus Löser, Berlin, Januar 2014

FESTIVAL
Forum Berlinale 2014, FID Marseille, wavelength, Duisburger Filmwoche, Montevideo, Cordoba, Lima, Madrid