Halbes Hähnchen vom Himmel

Regie: Mireia Guzmán Sanjaume / 52:58 min. / 2018 / Deutsch, Serbokroatisch (UT: Englisch) / Deutschland

Bewaffnet mit Greifarm und handgeschriebenen Briefen an Berliner Gerichte wehrt sich Frau W. dagegen, mit ihren 74 Jahren ihre Wohnung und soziales Umfeld zu verlieren.

Regie: Mireia Guzmán Sanjaume
Kamera: Mireia Guzmán Sanjaume / Almut Wetzstein
Montage: Katharina Voss

Während der Rest der Welt sich mit der Fußball amüsiert, kämpft Mevla W. um ihre Wohnung: 3 Zimmer zu einem alten Mietvertrag in einem begehrten Berliner Innenstadtbezirk. Hier wohnt sie seit 1985. Warum sie sich in Zukunft mit zwei oder sogar nur einem Zimmer zufriedengeben sollte, sieht sie nicht ein. Sie hat ihre Ruhe, genießt ihr Leben zwischen Vasen aus der ehemaligen Tschechoslowakei und elaborierten Kletterpflanzenarrangements und hat aus ihrem Fenster alles Geschehen in ihrer Straße im Blick. Aber auch ihr Vermieter hat seine Interessen. Bewaffnet mit Greifarm und handgeschriebenen Briefen an sämtliche Berliner Gerichte wehrt sich Frau W. dagegen, mit ihren 74 Jahren ihr soziales Umfeld zu verlieren und in einen „Käfig“ ziehen zu müssen.

Ein intimes Porträt einer starrköpfigen Frau über den Unterschied zwischen Rechtsprechung und Gerechtigkeit, über Rache und Genugtuung und über Anspruch und Wirklichkeit.

Regie: Mireia Guzmán Sanjaume
Kamera: Mireia Guzmán Sanjaume / Almut Wetzstein
Montage: Katharina Voss
Ton: Mireia Guzmán Sanjaume / Irene Izquierdo
Sounddesign: Birte Gerstenkorn/ Irene Izquierdo
Musik: Haarman / klangmoebel

Mireia Guzmán (Barcelona, 1979) ist eine Filmemacherin mit Sitz in Berlin. Nach ihrem Abschluss in Bildender Kunst an der Universität Barcelona studierte sie Kamera und Dokumentarfilmregie an der selbstorganisierten Filmschule FilmArche e.V. Im 2017 gründete sie mit Kolleginnen das feministische Filmkollektiv TINT. Neben ihren Filmprojekten arbeitet sie auch als Videojournalistin.

Wie sieht es eigentlich mit dem Recht auf Wohnen aus?

In Berlin sind wie in vielen anderen Städten Deutschlands und weltweit immer mehr Menschen von Wohnungslosigkeit und Zwangsräumungen betroffen. Mein erster Rechercheschritt führte mich 2013 zum Bündnis „Zwangsräumung verhindern“, wo ich viele von Zwangsräumungen betroffene Personen und auch Aktivist*innen kennenlernte, die diese Personen unterstützen. Die Menschen sind ganz unterschiedlich, so wie auch die Kündigungsgründe und die Zumutungen, die sie erfahren: Vermeintliche Eigenbedarfskündigungen, Mietschulden aufgrund verspäteter Transferleistungen von Ämtern, falsch angeratene Mietminderungen durch Anwält*innen, Schikanen von Vermieter*innen durch nie erledigte Reparaturen, verklebte Briefkästen oder unwahre Behauptungen, Nachbar*innen fühlten sich gestört.

So unterschiedlich all diese Fälle sind, sie haben eins gemeinsam: die bürokratischen Hürden, vor denen die Betroffenen stehen, sind groß. Viele von ihnen haben zudem aufgrund ihrer Migrationsbiografien einen komplizierten Status bei den Ämtern, sprechen deutsch nicht als Erstsprache oder sind auf andere Weise von struktureller Diskriminierung betroffen.

Owohl all dies systemische Probleme sind, konnte ich bei allen diesen Menschen beobachten, dass sie Scham empfanden; sie hatten ein diffuses Gefühl, selber an ihrer Situation schuld zu sein. Durch die Beratung der Aktivisti*innen, durch die konkrete Benennung der Probleme, durch die Vernetzung mit anderen Personen in ähnlichen Problemlagen konnten sie dieses Gefühl ablegen und sich wehren lernen. Mit meinem Film den ich zwischen Februar und Juli 2014 gedreht habe, wollte ich einen Teil zu diesem Prozess beitragen.

Auch Mevla W., die Protagonistin von „Halbes Hähnchen vom Himmel“, ist diesen Erfahrungen ausgesetzt: Altersarmut, drohende Wohnungslosigkeit, unfähige Behörden, schlechte Beratung. Sie begegnet dieser Situation mit einer ungeheuren Stärke und mit einem unerschöpflichem Humor, der mich von Anfang an sehr beeindruckt hat. Von der Idee, einen Film mit ihr zu drehen, war sie von Anfang an begeistert. Für sie selbst war ein Film ein Mittel, die von ihr erlebte Ungerechtigkeit öffentlich zu machen. Sie tut alles, was sie kann, statt sich mit schlechten Kompromissen zufrieden zu geben – bis hin zum persönlichen Besuch beim Amtsgericht, in das sie aber, weil es eine unpersönliche, abstrakte Institution ist, gar nicht vordringen kann.

Sie ist kein Opfer, sie nimmt die Dinge in ihre eigene Hand, sie beschwert sich über Unverschämtheiten und Ungerechtigkeiten, sie ist laut und fordernd und stolz auf diese Eigenschaften, die einer Frau im Rentenalter sonst nicht zugestanden werden. Auch darum hat sie mich als Protagonistin begeistert.

Junge Welt – 18.Januar 2018 – Eine starke Frau – Matthias Reichelt
https://www.jungewelt.de/artikel/325559.eine-starke-frau.html

TIP Berlin 17.01.2018
Dokumentarfilm „Halbes Hähnchen vom Himmel – Zwangsräumungen in Berlin“ im Kino – Andreas Döhler
https://www.tip-berlin.de/halbes-haehnchen-vom-himmel-zwangsraeumungen-in-berlin-im-kino/

Berliner MIETERVEREIN – 28.02.2018 – Verdrängung hat ein Gesicht
Rainer Bratfisch
https://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0318/filmtipp-verdraengung-hat-ein-gesicht-031813b.htm